
Die 1960er Jahre gelten vielen als ein Jahrzehnt des Aufbruchs, der Musikrevolution und gesellschaftlichen Wandels. Doch hinter dem Glanz der Hippiebewegung, der Beatles und der ersten Mondlandung verbargen sich auch Verhaltensweisen und Ansichten, die aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar sind. In einer Zeit vor umfassender Aufklärung, strenger Gesetze oder medizinischem Fortschritt wurden Dinge praktiziert, die heute teils als fahrlässig, gefährlich oder sogar absurd gelten.
Vieles war schlicht gesellschaftlich akzeptiert, ohne dass über mögliche Folgen für Gesundheit oder Sicherheit nachgedacht wurde. Wer heute zurückblickt, erkennt schnell, wie sehr sich unsere Normen und Werte verändert haben. Diese Rückschau zeigt, dass nicht alles, was früher „normal“ war, aus heutiger Sicht noch tragbar ist. Einige Beispiele wirken fast wie aus einer anderen Welt.
1. Rauchen während der Schwangerschaft

In den 1960er Jahren war das Rauchen allgegenwärtig – selbst bei schwangeren Frauen. Dass Tabakkonsum dem ungeborenen Kind schaden könnte, war kaum Thema. Vielmehr galten Zigaretten oft als Stresskiller oder „Beruhigungsmittel“, auch für werdende Mütter. Viele Ärztinnen und Ärzte verschrieben sogar Tabak zur Gewichtsregulation oder als Nervenhilfe.
Die Idee, dass Nikotin zu Frühgeburten, Fehlbildungen oder langfristigen Gesundheitsschäden beim Kind führen könnte, war in der öffentlichen Debatte kaum vorhanden. Warnhinweise auf Zigarettenschachteln existierten nicht – geschweige denn Aufklärungskampagnen. Das Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit stand im Vordergrund. Wie es heute anders aussieht, erfährst du im nächsten Abschnitt.
2. Ärzte als Werbeträger für Zigarettenmarken

Die Tabakindustrie war in den 60ern nicht nur mächtig – sie war auch respektiert. In Anzeigen warben echte Ärzte mit weißen Kitteln für bestimmte Marken, mit Slogans wie: „Mehr Ärzte rauchen Camel als jede andere Zigarette.“ Solche Aussagen hatten gewichtigen Einfluss – schließlich galten Mediziner als verlässliche Instanzen.
Dass Tabak ein Suchtmittel mit tödlichen Langzeitfolgen ist, war kaum bekannt oder wurde schlicht ignoriert. Werbung prägte das Bild vom Raucher als cool, intelligent und erfolgreich. Dass sich das öffentliche Bewusstsein später radikal ändern würde, konnte damals kaum jemand erahnen. Auch in anderen Lebensbereichen herrschte ein gefährlicher Leichtsinn – zum Beispiel beim Fliegen.
3. Keine Sicherheitskontrollen an Flughäfen

Heute ist es unvorstellbar: In den 1960er Jahren konnte man fast unbehelligt ins Flugzeug steigen – ohne Ausweis, ohne Kontrolle und mit beliebigem Gepäck. Weder Metalldetektoren noch Scanner oder strenge Boarding-Prozesse existierten. Familien begleiteten ihre Angehörigen noch bis direkt ans Flugzeug.
Erst eine Serie von Entführungen und Terrorakten in den 1970er Jahren führte zu einem grundlegenden Umdenken. Damals galten Freiheit und Vertrauen als höhere Werte als Sicherheitsvorkehrungen. Der Begriff „Gefahr an Bord“ war nahezu unbekannt. Doch auch auf den Straßen zeigte sich ein bedenklich lässiger Umgang mit Risiken, wie das nächste Kapitel zeigt.
4. Alkohol am Steuer war kaum ein Problem

Alkoholgenuss und Autofahren galten lange als gesellschaftlich vereinbar. Viele fuhren nach dem Kneipenbesuch einfach nach Hause – oft leicht oder stark betrunken. Es gab kaum Kontrollen, und wer erwischt wurde, kam meist mit einer Verwarnung davon. Der Gedanke, dass Alkohol am Steuer ein Menschheitsrisiko darstellen könnte, war in der breiten Öffentlichkeit noch nicht verankert.
Kampagnen wie „Don’t drink and drive“ kamen erst Jahrzehnte später auf. Selbst Prominente oder Politiker waren bekannt dafür, trinkend hinterm Steuer gesichtet zu werden. Wie wenig Schutz damals auch Kinder und Schüler genossen, wird im nächsten Punkt deutlich.
5. Körperliche Züchtigung in der Schule

In Schulen der 60er war körperliche Züchtigung Alltag. Lehrer nutzten Lineale, Paddel, ja sogar Stockhiebe, um Schüler zu „disziplinieren“. Ein Schlag auf die Finger, ein Kniefall auf Erbsen oder Ohrfeigen galten als „pädagogisch wertvoll“. Eltern hinterfragten solche Maßnahmen selten – viele hielten es für normal oder gar notwendig.
Erst Jahrzehnte später wurden diese praktischen Misshandlungen als das erkannt, was sie waren: körperliche Gewalt. Die seelischen Folgen wurden oft ignoriert. Wer sich damals gegen diese Methoden aussprach, galt als weich oder „zu modern“. Doch auch außerhalb der Klassenzimmer war der Schutz vor Schaden kaum Thema – wie das Sonnenbaden zeigt.
6. Sonnenbaden ohne Schutz – Bräune um jeden Preis

In den 60ern war Bräune das absolute Schönheitsideal. Menschen verbrachten Stunden in der Sonne – ohne Sonnenschutzmittel, ohne Schutzkleidung. Die Gefahren durch UV-Strahlung waren weitgehend unbekannt. Vielmehr galt: Wer braun war, wirkte gesund, sportlich und erfolgreich. Sonnencreme war teuer und kaum verbreitet.
Stattdessen benutzte man sogar Öle oder Butter, um schneller zu bräunen. Hautkrebs, Sonnenstiche oder vorzeitige Hautalterung waren keine Gesprächsthemen. Erst mit wachsender medizinischer Forschung änderte sich das Bewusstsein. Doch nicht nur Sonne, auch das Trinkwasser brachte unerwartete Risiken mit sich.
7. Trinkwasser aus bleihaltigen Leitungen

In vielen Haushalten der 60er floss das Trinkwasser durch bleihaltige Rohre – besonders in älteren Gebäuden. Damals wusste kaum jemand, dass Blei hochgiftig ist und sich langfristig im Körper ablagert. Besonders Kinder und Schwangere waren gefährdet, doch es fehlte an wissenschaftlichen Erkenntnissen, politischen Regulierungen und öffentlicher Aufklärung.
Die Symptome einer Bleivergiftung – wie Konzentrationsstörungen, Müdigkeit oder Organschäden – wurden oft falsch diagnostiziert. Erst viel später kam die umfassende Sanierung von Wassersystemen in Gang. Das zeigt, wie blind man früher selbst gegenüber unsichtbaren Gefahren war. Doch wie konnte sich all das gesellschaftlich halten?
8. Gesellschaftlicher Wandel kam erst langsam

Was heute als verantwortungslos oder gefährlich gilt, war in den 1960ern vielfach gesellschaftlicher Konsens. Autoritäten – ob Lehrer, Ärzte oder Politiker – wurden selten hinterfragt. Es fehlte an Wissenschaft, an Medienvielfalt und an kritischem Bewusstsein. Viele Menschen vertrauten blind auf das, was „schon immer so war“.
Doch mit der Zeit begannen Bewegungen, Aufklärungskampagnen und medizinischer Fortschritt, das Bewusstsein zu verändern. Die 60er waren ein Jahrzehnt des Widerspruchs – voller Fortschritte, aber auch voller Irrtümer. Vielleicht ist es gerade deshalb wichtig, zurückzublicken: um zu erkennen, wie weit wir gekommen sind – und welche Fehler wir nie wiederholen sollten.