
Was bedeutet Sicherheit im Kindesalter? Die Antwort scheint simpel, ist aber komplexer als viele denken. Es gibt Fähigkeiten, die nicht nur nützlich, sondern lebenswichtig sind. Und doch scheinen sie in einer modernen Gesellschaft in den Hintergrund zu rücken. Eltern, Schulen, Politik – sie alle tragen Verantwortung. Und trotzdem fehlt es oft an Strukturen, Ressourcen oder schlicht der richtigen Priorisierung.
Eine Fähigkeit, die über Leben und Tod entscheiden kann, bleibt für viele Kinder unerreichbar. Die Gründe dafür sind vielfältig – aber keinesfalls unveränderlich. Während die Zahlen stumm für sich sprechen, gibt es Menschen, die laut werden. Menschen, die etwas bewegen wollen. Noch ist nicht alles verloren – aber es ist höchste Zeit zu handeln.
1. Wenn Wasser zur Gefahr wird

Die Idylle am See, das Toben im Freibad oder ein unachtsamer Moment im Urlaub – Wasser kann schnell zur tödlichen Bedrohung werden. Besonders für Kinder. Immer mehr Grundschulkinder in Deutschland können nicht schwimmen. Laut DLRG sind es heute fast die Hälfte aller Kinder zwischen sechs und zehn Jahren, die entweder gar nicht oder nur unsicher schwimmen können.
Was das bedeutet, zeigen die Zahlen auf erschreckende Weise: 20 Kinder unter zehn Jahren sind allein 2022 ertrunken. Diese Fakten sprechen für sich – und fordern Konsequenzen. Denn wer nicht schwimmen kann, ist im Ernstfall hilflos. Trotzdem bleibt das Thema in vielen Familien und Schulen eine Randnotiz. Dabei betrifft es uns alle – und das längst nicht nur in den Sommermonaten.
2. Eine Stimme, die Wellen schlägt

Franziska van Almsick ist mehr als eine Schwimmlegende. Sie ist zur Stimme einer Bewegung geworden. Mit ihrer Stiftung setzt sie sich seit Jahren dafür ein, dass jedes Kind in Deutschland schwimmen lernen kann – unabhängig vom Geldbeutel der Eltern oder der Verfügbarkeit von Kursen.
Für sie steht fest: Schwimmen ist ein Grundrecht. Und sie lässt sich nicht mit symbolischen Gesten abspeisen. Ihre Kritik richtet sich an ein System, das Kindern nur scheinbar Sicherheit bietet – denn ein Seepferdchen ist kein Rettungsanker. Ihre Stiftung kämpft für echten Schwimmunterricht an Grundschulen – verbindlich, zugänglich und bezahlbar. Denn präventiver Wasserschutz beginnt mit Bildung.
3. Die Seepferdchen-Falle

„Kinder mit Seepferdchen können nicht schwimmen“, sagt Franziska van Almsick klar und deutlich. Und sie meint das wörtlich. Denn das Seepferdchen – so bekannt und beliebt – vermittelt oft ein trügerisches Sicherheitsgefühl. Eltern denken, ihr Kind sei jetzt „sicher im Wasser“. Doch die Anforderungen des Abzeichens sind minimal.
Richtig schwimmen bedeutet Technik, Ausdauer, Selbstrettung – all das kann man nach einem Seepferdchen-Kurs nicht erwarten. Van Almsick plädiert für mehr Abzeichen und klarere Zwischenstufen, um Fortschritt sichtbar und Motivation greifbar zu machen. Denn Sicherheit im Wasser ist ein Prozess, kein Symbol. Und dieser Prozess beginnt nicht mit einer Urkunde – sondern mit Wiederholung, Begleitung und echtem Verständnis für Wasser.
4. Schwimmen ist mehr als Planschen

In Spaßbädern das Tauchen üben oder zwischen Luftmatratzen die ersten Schwimmzüge probieren – klingt verlockend, hat aber mit echtem Schwimmunterricht wenig zu tun. Van Almsick warnt: „Das ist nicht Schwimmenlernen.“
Kinder brauchen Bahnen, Struktur, Geduld. Und sie brauchen Räume, in denen sie konzentriert lernen dürfen – ohne Lärm, ohne Überfüllung. Das Problem: Es gibt zu wenig Schwimmbäder, zu wenig Trainer, zu wenig Plätze. Und oft sind die Kurse so teuer, dass Familien sie sich nicht leisten können. Die Konsequenz: Schwimmen wird zum Privileg. Dabei sollte es ein fester Bestandteil der Grundausbildung sein – wie Lesen oder Rechnen. Van Almsick sagt klar: „Wir müssen Schwimmen endlich ernst nehmen.“
5. Motivation, die funktioniert

Abzeichen sind nicht nur Symbole – sie sind Antrieb. Kinder lieben sichtbare Erfolge. Ein Aufnäher, eine Urkunde, ein kleines Lob – all das macht einen Unterschied. Franziska van Almsick sieht hier großes Potenzial: Mehr Zwischenstufen, mehr Belohnung, mehr Struktur.
Doch auch Eltern sind gefragt. Warum nicht das „Familienabzeichen“ einführen? Eine kleine Taucher-Challenge für alle. Oder ein selbstgemaltes Zertifikat für 50 Meter. Van Almsick ruft zur kreativen Verantwortung auf. Denn Schwimmenlernen ist kein einmaliges Event – sondern ein kontinuierlicher Weg. Und der wird leichter, wenn man ihn gemeinsam geht – mit Spaß, Anerkennung und einem Augenzwinkern.
6. Lernen mit Pyjama

Ein ungewöhnlicher, aber effektiver Tipp: „Geht mal mit euren Kindern im Pyjama ins Wasser.“ Van Almsick empfiehlt das nicht als Spaß, sondern als realistisches Training. Denn: Wer ins Wasser fällt, trägt selten Badehose.
Ein nasses T-Shirt, eine Hose – das alles saugt sich voll, wird schwer, zieht nach unten. Und genau diesen Effekt sollen Kinder spüren – in sicherer Umgebung. Vielleicht im Urlaub, vielleicht am See. Denn echte Wassersicherheit bedeutet auch: vorbereitet sein auf den Ernstfall. Nur wer weiß, wie Kleidung das Verhalten im Wasser verändert, kann angemessen reagieren. Dieser Perspektivwechsel gehört zur Schwimmausbildung – und ist ein zentraler Baustein in Van Almsicks Mission.
7. Eltern als Schlüssel

Eltern können entscheidend dazu beitragen, dass Kinder das Schwimmenlernen nicht aufgeben. Der Schlüssel liegt oft in der Haltung: nicht Druck, sondern spielerisches Fordern und ständige Ermutigung.
Franziska van Almsick rät, Schwimmen genauso ernst zu nehmen wie schulische Leistungen – oder das tägliche Zähneputzen. Kleine Belohnungssysteme, gemeinsames Üben oder einfach Präsenz zeigen – all das hilft. Und auch wenn es keine offizielle Urkunde gibt: die Idee zählt. Wer Schwimmen zu einem Familienprojekt macht, sorgt dafür, dass das Thema nicht im hektischen Alltag untergeht. Denn Wasser kann Freude bedeuten – oder Gefahr. Der Unterschied liegt oft in den ersten Metern, die ein Kind schwimmt – oder eben nicht schwimmen kann.
8. Schwimmen als Kindheitsrecht

Wasser gehört zur Kindheit. Zum Plantschen, Spielen, Abkühlen. Doch Van Almsick betont: Es muss sicher sein. Kinder dürfen keine Angst haben – aber sie müssen Respekt lernen. Und genau hier setzt ihre Stiftung an: Aufklärung, Kurse, Konzepte.
Ihr Appell an Eltern: Seid wachsam, bleibt dran, gebt Wasser Bedeutung. Und an die Politik: Macht Schwimmen zur Pflichtaufgabe. Nicht erst in der vierten Klasse. Nicht nur, wenn Ressourcen da sind. Sondern jetzt. Denn wer zu lange wartet, riskiert Leben. Eine Kindheit ohne Wasser wäre schade. Aber eine ohne Sicherheit ist gefährlich. Van Almsick sagt es klar: „Schwimmen zu lernen darf kein Zufall sein – sondern ein Recht.“