Ein scheinbar harmloses „Hausmittel“, drei tote Kinder und ein Jahrhundert später noch immer offene Fragen – die Geschichte von Salzsäure als Helfer und Henker lässt uns frösteln.
Heilsversprechen mit ätzender Wirkung

Im 19. Jahrhundert galt verdünnte Salzsäure – damals „muriatic acid“ genannt – tatsächlich als Rezept gegen hartnäckige Halsschmerzen. Medizinische Ratgeber empfahlen, den Rachen damit auszupinseln oder zu gurgeln; ein riskantes Verfahren, doch Chemie war Neuzeit-Magie und die Sehnsucht nach schnellen Linderungen groß.
Noch heute tauchen auf Social-Media-Plattformen dubiose Tipps auf: ob Essig-Gurgeltrends oder gefährliche Chemie-“Experimente“, die Jugendliche nachmachen. Dass ätzende Substanzen nichts im Mund verloren haben, zeigt die Geschichte, die wir gleich näher beleuchten. Doch wer hätte gedacht, dass ein „Hausmittel“ zur tödlichen Waffe einer Stiefmutter werden würde? – bleiben wir dran, denn die Bühne wechselt nach Perth, Westaustralien …
Nächstes Kapitel: Eine scheinbar glückliche Patchwork-Familie gerät in den Fokus der Ermittler.
Die Patchwork-Familie in Perth

Martha Rendell zog 1907 bei ihrem Lebensgefährten Thomas Morris ein, der fünf Kinder aus erster Ehe hatte. Nach außen funktionierte alles: neues Heim, liebevolle „Mutter“. Doch schon bald klagten die Kinder über brennende Kehlen, Schluckbeschwerden und Fieber, immer wieder, immer heftiger. Ärzte diagnostizierten Diphtherie – eine plausible Erklärung in einer Zeit ohne Impfstoff.
Kaum waren die ersten Symptome abgeklungen, traf das Unheil erneut. Drei Kinder – Annie, Olive und Arthur – starben innerhalb von zwei Jahren, zwei weitere schwebten zeitweise in Lebensgefahr. Die Tragödie schien ein böses Schicksalsspiel, doch es fehlte noch das entscheidende Puzzleteil, das die Fassade der fürsorglichen Stiefmutter zerschmettern sollte.
Doch erst ein Zufallsfund im Obduktionssaal brachte das Grauen ans Licht – weiter geht’s.
Wenn die Diagnose zur Falle wird

Bei den Autopsien stießen Gerichtsmediziner auf verätzte Schleimhäute; die Wunden passten nicht zum Krankheitsbild der Diphtherie. Zwei überlebende Geschwister erzählten schließlich, Martha habe ihnen regelmäßig eine „medizinische Lösung“ eingeflößt, die im Hals brannte wie Feuer. Ermittler verfolgten die Spur bis zu einem Drogerieladen: Dort hatte Morris verdünnte Salzsäure gekauft, angeblich auf Wunsch seiner Partnerin, „um Halsschmerzen zu kurieren“.
Die Polizei rekonstruierte den Ablauf – jeder akute Anfall folgte einer Dosis der vermeintlichen Medizin. Aus Fürsorge wurde Vergiftung; aus Halsschmerz ein Todesurteil. Die Presse witterte ihre Sensationsstory, Karikaturen stempelten Rendell zur Hexe ab. Doch das Drama steuerte erst auf sein bitteres Finale zu.
Auch die Justiz kannte kein Pardon – werfen wir einen Blick in den Gerichtssaal von 1909.
Das grausame Finale am Galgen

Der Prozess gegen Martha Rendell zog Schaulustige aus ganz Westaustralien an. Die Kinder sagten unter Tränen aus, Ärzte bestätigten die chemischen Verletzungen, der Einkauf der Säure war dokumentiert – das Urteil lautete dreifacher Mord. Am 6. Oktober 1909 wurde Rendell gehängt, als letzte Frau im Bundesstaat.
Zeitungen verkauften Extra-Auflagen, Zeugen berichteten von Rendells ungerührter Haltung. Die öffentliche Meinung war eindeutig: eine gefühllose Giftmischerin hatte bekommen, was sie verdiente. Doch damit endet die Debatte nicht – denn moderne Historiker stellen Fragen, die damals niemand hören wollte.
Warum zweifeln Fachleute heute am Motiv? Und was sagt das über riskante „Hausmittel“ unserer Zeit?
Hausmittel oder Mordwerkzeug? Die Nachwehen bis heute

Einige Forscher vermuten, Rendell habe wirklich an die heilende Wirkung ihres ätzenden Elixiers geglaubt – in einer Ära, in der fragwürdige Chemikalien als Wundermittel kursierten. Unwissen, Selbstüberschätzung oder eiskalter Plan? Sicher ist nur: Als das erste Kind starb, setzte Martha nicht ab, sondern machte weiter.
Der Fall wirkt bis 2025 hinein: Podcasts, True-Crime-Serien und TikTok-Debatten über falsche „Do-it-yourself-Heiler“ erinnern daran, wie dünn die Linie zwischen Kur und Vergiftung sein kann. Salzsäure bleibt ein Gift – gestern wie heute. Wer Halsschmerzen hat, greift besser zu Tee und ärztlichem Rat als zu Chemikalien, sonst könnte ein „Hausmittel“ auch in unserer Gegenwart tödlich enden.
Bleiben Sie skeptisch, wenn das nächste Wundermittel viral geht – manches Grauen wiederholt sich.